ECOLOGICAL ENGINEERING ODER TECHNISCHER UMWELTSCHUTZ?

“Ecological Engineering ist zunächst wortwörtlich als Verbindung der Arbeitsbereiche Ökologie und den Ingenieurwissenschaften zu verstehen. Was von Ökologen initiiert wurde, kann heute auf konkrete weltweit verbreitete Anwendungen verweisen. Das entscheidende Kriterium, ob es sich um “Ecological Engineering” oder eine Form der “Umwelttechnik” handelt, ist die Integration eines Ökosystems bei der Lösung der Aufgabenstellung. … Natürliche Ökosysteme sind komplex und hoch organisiert. In dieser Komplexität gibt es unendlich viele Rückkopplungen und Anpassungen, die zur Ausfallsicherheit beitragen. …”

[Sinngemäße Übersetzung: William J. Mitsch (2012): “What is ecological engineering?”, Ecological Engineering, 45, 5–12]

Die Abwassertechnik als Teil des TECHNISCHEN UMWELTSCHUTZES zielt zunächst darauf ab, Abwassereinleitungen in Flüsse „end of pipe“ bis zu einem Grenzwert zu reinigen (ADDITIVER UMWELTSCHUTZ). In einer späteren Phase hatte man das Einsparpotenzial umweltschonender Produktionstechnologien in Form von Abwassertrennsystemen und wassersparenden Verfahren erkannt (INTEGRIERTER UMWELTSCHUTZ). Strukturell änderte sich jedoch auch in der zweiten Phase nicht die grundsätzlich Zweiteilung: Auf der einen Seite die im menschlichen Einflußbereich stehende Technologie, auf der anderen Seite die zu schützende „Umwelt“.

Fig. 4: Traditionelle Betrachtungsweise der Umwelttechnik: „end-of-pipe“ nach (Odum & Odum, 2003)

Diese getrennte Betrachtungsweise ist historisch, rechtlich, aber auch methodisch begründet. Mit der zunehmenden globalen Vernetzung und weiter ausgreifenden Stoffkreisläufen, müssen wir immer mehr Rückkopplungen zwischen Technologie und Umwelt (Allmende) erfahren und notwendigerweise berücksichtigen. Aktuell diskutierte Aufgaben in der Abwasserwirtschaft, wie

  • Einführung „Neuartige Sanitärsysteme“ (separate Erfassung und Verwertung der Abwasserstoffströme),
  • Emission von Mikroplastik und endokrin wirksamen Stoffen (Arzneimittelreststoffe)
  • Entsorgung und Verwertung von Klärschlamm
  • Regenwasser-/Mischwasserbehandlung
  • Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie

erfordern ein strategisches Umdenken.

Fig. 5: Betrachtungsweise der Beziehungen zwischen Technologie und Umwelt aus Sicht des Ecological Engineering aus (Odum & Odum, 2003)

Aus dem Studium von Ökosystemen ist bekannt, dass sie durch vielfältige Rückkopplungsbeziehungen einem Zustand geringen Energieverbrauchs bei maximaler Stoffausnutzung zustreben. Diese „Ökonomie“ der Selbstorganisation ist ein wesentlicher Vorteil technologischer Lösungen nach Prinzipien des Ecological Engineering. Praktisch bedeutet dies für den Anwender

  • geringe Energieverbrauchskosten bis hin zu energieautarken Systemen
  • hohe Betriebsstabilität auch bei fluktuierenden Ausgangsbedingungen
  • geringer Steuerungs- und Wartungsaufwand

Im Ecological Engineering wird vertiefend auf standort-angepaßte Lösungen eingegangen, um Energieverbrauch und Wartungsaufwand zu minimieren. Geländeneigungen, Solar-, Wasser- und Windkraft werden genutzt, um den Fremdenergieverbrauch zu senken.

Ingenieurbauwerke, welche Elemente des Ecological Engineering enthalten, erfordern eine veränderte Herangehensweise bezüglich Planung, Betriebsführung und Wartung.

  • Systeme entsprechend Ecological Engineering sind offen. Das heißt, sie sind Witterungseinflüssen, den Tag-Nacht-Wechsel usw. ausgesetzt.
  • Dimensionierungen und Leistungsprognosen müssen dementsprechend methodisch anders ermittelt werden, als bei technischen Systemen.
  • Die technische Funktionalität ist Teil der gesamten ökosystemarer Leistungen des Systems. Betrieb und Wartung orientieren sich an längerfristigen Zeithorizonten und zielen auf den Erhalt des Selbstorganisationspotenzials des Systems.

Eine gelungene Implementierung der Prinzipien des Ecological Engineering bezieht letztendlich auch den Menschen und sein Handeln in den Rückkopplungsprozess ein.

Anwendung in der dezentralen naturnahen Abwasserbehandlung

Diese allgemeine Beschreibung der Prinzipien des Ecological Engineering trifft auf die Anwendung von bewachsenen Bodenfiltern zur Abwasserreinigung zu. Als bewachsene Bodenfilter werden mit Kies-Sand gefüllte, abgedichtete Becken bezeichnet, welche häufig mit Schilf oder anderen Sumpfpflanzen bepflanzt sind und vom Abwasser durchströmt werden. Dieses Behandlungssystem aus Filterkörper (Sandschicht), Bepflanzung und hydraulischen Be- und Entwässerungseinrichtungen stellen in sich eine Abbildung natürlicher Ökosysteme in Form eines Feuchtgebietes dar.

Die Anfang der 1960er Jahre von der deutschen Limnologin Käthe Seidel aus dem Vorbild der Selbstreinigung von Gewässern als Abwasser-Reinigungstechnologie entwickelt, erfuhren Bodenfilter seitdem weltweite Verbreitung und werden in unterschiedlichsten Variationen und Kombinationen in der Abwasserreinigung und Schlammbehandlung angewendet.

Prinzipskizze eines horizontal durchströmten Bodenfilters zur Abwasserreinigung
Prinzipskizze eines horizontal durchströmten Bodenfilters zur Abwasserreinigung
Prinzipskizze eines vertikal durchströmten Bodenfilters zur Abwasserreinigung

Im Unterschied zu den technischen Bioverfahrensweisen erfolgt in Bodenfiltern die Abwasserreinigung z. B. ohne energieverbrauchsintensiven künstlichen Eintrag von Luftsauerstoff und ohne Bildung von zusätzlich zu entsorgendem Klärschlamm. Richtig dimensionierte und gut eingefahrene Systeme („Pflanzenkläranlagen“) überzeugen durch

  • eine stabile, außergewöhnlich hohe Reinigungsleistung infolge komplexer Nährstoffverwertungsketten und
  • Flexibilität gegenüber Belastungsschwankungen und Umwelteinflüssen.

Hinzu kommen andere ökosystemare Leistungen, wie die Beeinflussung der Wasserstoffionenkonzentration (pH-Wert) oder der mikrobiellen Lebensgemeinschaft (Hygienisierung) im behandelten Wasser.

Für den Anwender ergeben sich z.B. aus der Fähigkeit der Selbstorganisation von Bodenfiltersystemen ein meist geringer Steuerungsbedarf. Die hydraulischen Eigenschaften von Sandfilterkörpern bewirken beispielsweise eine erhöhte hydraulische Effizienz, sobald diese mit einer größeren Abwassermenge durchströmt werden. Dadurch wächst der mikrobielle Biomasseanteil, welcher wiederum für eine höhere Reinigungsleistung bei erhöhter Schmutzfracht sorgt.

Die Auseinandersetzung der Ingenieure mit den natürlichen Limitationen dieser Technologie wie größerer Flächenbedarf, begrenzter flächenspezifischer Sauerstoffeintrag, direkter Einfluss von Witterung und Jahreszeit führte wiederum zu einem tieferen Verständnis der Rückkopplungen zwischen Pflanzen, Hydraulik und dem mikrobiell besiedelten Filterkörper. Dies lieferte Anregung zu weiteren technologischen Lösungen wie:

  • SCHLAMMVERERDUNG: Die häufig eingesetzten Schilfpflanzen (Phragmites australis) sind natürlich durch Formen vegetativer Vermehrung an wechselnde Wasserstände und Einspülen von Schlämmen bei Hochwasser angepaßt. Als Sumpfpflanzen verfügen sie über Luftleitgewebe (Aerenchym). Beide Eigenschaften ermöglichen den Einsatz dieser Pflanzen zur Entwässerung, und Aerobisierung von Klärschlammen.
  • ROHWASSERFILTER: Die Abtrennung organischer Feststoffen und die biologische Behandlung der gelösten Abwasserinhaltsstoffe werden ohne weitere Absetzstufe in einem Verfahren integriert. Erst nach einem Betrieb von ca. 10 Jahren fällt ein bereits vererdeter, mineralisierter Feststoff an, der geräumt und weiter verwertet werden kann. Rohwasserfilter sind hydraulisch auch für Mischwasserbehandlung geeignet.
  • ALTERNIERENDER BETRIEB: Werden Abwasserinhaltsstoffe akkumuliert und langsamer abgebaut, werden durch Anlage mehrerer paralleler Filterbecken statt einem Filter Ruhephasen ermöglicht, in denen auch diese Stoffe abgebaut werden. Diese Betriebsart wir z.B. auch bei Rohwasserfiltern angewendet.
  • HEBERBESCHICKUNG: Eine stromlose Beschickungsmöglichkeit ohne Motorpumpen. Dabei wird ein vorhandenes Geländegefälle (Nutzung der Gravitation) zum Transport des Abwassers in Intervallen ermöglicht.